Ich habe ein wenig Honig gekostet,
und siehe, ich muss darum sterben.
Schon lange ist vorbei die Zeit,
Und dort, wo rauschen sie zu zweit,
Kurá, wie schwesterlich hält sie
Im Arme ihren Arágwi,
Da stand ein Kloster, Wand'rer sieh -
Am Berge ragen hoch empor
Die Säulen vom zerfall'nen Tor
Und das Gewölb' mit Turm davor;
Doch steigt dort nicht nach altem Brauch
Aus Räucherpfannen heil'ger Rauch,
Zur Abendstund' von dort nicht weht
Kein Klang vom Lied, noch vom Gebet.
Dort sitzt jetzt nur, ganz alt und grau,
Halbtot ein Wächter vor dem Bau,
Wird selbst vom Tod vergessen sein,
So fegt er Staub vom Grabgestein,
Und deren Inschrift spricht allein
Vom alten Ruhm - und auch davon,
Wie er erdrückt von seiner Kron',
Ein Zar aus irgendeinem Jahr
Sein Volk er brachte Russland dar.
___
Und Gottes Segen ging hinfort -
Georgien! Er blühte dort
Im Schatten seiner Gärten rein,
Vorm Feind braucht ihm nicht bange sein
Hinter der Bajonette Reih'n.
Ein General aus Russlands Stab
Nach Tiflis sich vom Berg begab;
Ein Kind, das nahm gefangen er,
Doch es war krank, ihm fiel zu schwer
Die Mühsal eines weiten Wegs,
Es war nicht älter wohl als sechs,
Wie eine Gämse, wild und scheu,
Zerbrechlich wie ein Hälmchen Heu.
Doch Krankheit, die viel Qual gebracht,
Die gab ihm auch viel geist'ge Macht
Der Väter. Ohne Klagen litt
Er, nicht der kleinste Laut entglitt
Den Lippen, schweigend wie ein Grab,
So lehnte er auch Essen ab,
Sank leise, stolz, wie tot hinab.
Aus Mitleid nahm ein Mönch ihn auf
Und trug den Kranken dort hinauf,
Im Schutz der Mauern er dann blieb,
Gerettet nur durch Kunst und Lieb'.
Doch Kindestrost ihm nicht bekannt,
So ist er anfangs fortgerannt,
Lief einsam und mit stummen Sinn,
Sah seufzend nach dem Osten hin,
Ein dunkler Schmerz verfolgte ihn,
Und zog ihn zu der Heimat hin.
Weil er gefangen sich befand,
Die fremde Sprach' schon bald verstand,
Ein Pater führte ihn zur Tauf',
Weit weg vom lärmend' Weltenlauf.
Als er im rechten Alter war,
Sollt' bringen die Gelübde dar,
In einer Herbstnacht er verschwand
Im dunklen Wald, der sich gespannt
Weit über alle Berge hin.
Drei Tage lang suchten sie ihn
Umsonst, bis in die Steppe hin.
Bewusstlos fanden sie ihn dort,
Und brachten ihn ins Kloster fort.
So schrecklich bleich, so dünn war er
Und schwach, als hätte Arbeit schwer,
Krankheit und Hunger ihn gequält.
Doch keinem hat er es erzählt,
So welk, als ob der Tod gewählt
Den Tag des nahen Endes schon,
Als kam zu ihm ein Kirchensohn
Mit Mahnungen und auch mit Fleh'n;
Der Kranke tat's mit Stolz versteh'n,
Mit letzter Kraft, da stand er auf,
Und lange sprach er so darauf:
"Zur Beichte bat ich dich hier her,
Du kamst auch, und ich danke sehr.
Im Angesicht es besser sei,
Zu reden sich die Seele frei;
Den Menschen brachte ich kein Leid,
Und was zu sagen ich bereit,
Zu hören ist's nicht nützlich wohl,
Ob man es dennoch sagen soll?
Ich lebte kurz, gefangen dann,
Zwei Leben für nur einen Mann,
Doch waren sie erfüllt von Leid,
Das ändern wär' ich gern bereit.
So glühte voller Leidenschaft
Nur ein Gedanke voller Kraft:
Er wand sich wie ein Wurm in mir,
Fraß brennend diese Seele hier.
Gab Träume so voll Lebensgier,
Weg vom Gebet, der Klausen Mief,
Die Welt aus Sorg' und Kampf mich rief,
Wo man in Wolken Felsen find',
Wo Menschen frei wie Adler sind;
In trüber Nacht die Leidenschaft,
Ernährt durch Trauer, Tränensaft;
Nur sie will ich mit aller Kraft,
Beim Himmel und auch auf der Erd',
Sei mir Vergebung auch verwehrt.
Mir wurde, Alter, oft gesagt,
Dass du den Tod von mir verjagt -
Warum?... Denn traurig und allein,
Im Sturm geriss'nes Blättelein,
So wuchs ich auf im finst'ren Schoß,
Ein Kinderherz, der Mönch das Los.
Nie sprach ich hier an diesem Ort
Das heil'ge "Vater", "Mutter" Wort,
Ich weiß, du wolltest, alter Mann,
Dass ich es hier vergessen kann,
Wie gut ihr Name mir gefällt, -
Umsonst: der Klang war in der Welt,
In meinem Herz. Bei ander'n sah
Ich Heimat und die Lieben da,
Doch bei mir hab' ich nichts geseh'n,
Nicht einmal ihren Grabstein steh'n!
Und keine Träne weinte ich,
Doch schwor ich mir tief innerlich:
Dass, wenn auch kurz, doch irgendwann,
Die brennend' Brust ich drücken kann
An eine and're, sehnsuchtsvoll,
Die unbekannt vertraut sein soll.
Oh weh! Schon wieder Träumerei,
Die wenn auch schön, des Todes sei,
Und wie in fremdem Land ich wohn',
Sterb' ich als Sklav' und Waisensohn.
Die Angst vorm Grab ist ohne Kraft:
Dort, sagt man, schläft die Leidenschaft
In stiller, kalter Ewigkeit;
Vom Leben trennen tät' mir leid.
So jung, so jung... Doch ob du weißt,
Was ungestümes Träumen heißt?
Vergessen oder nie gekannt,
Wie du gehasst, in Lieb' entbrannt;
Wie's Herz lebendig in dir schlug,
Die Sonne, Felder kaum ertrug,
Vom hohen Eckturm sahst du dann,
Wo frische Luft, und dann und wann
Im tiefen Spalt in einer Wand
Als Kind aus unbekanntem Land
Sich duckt die junge Taube dort
Und wartet, bis der Donner fort?
Mag sein, dass diese schöne Welt
Dir, schwach und grau, nicht mehr gefällt,
Kein Wunsch hat über dich Gewalt.
Wozu? Du hast gelebt, bist alt!
Für dich ist alles Schall und Rauch,
Du hast gelebt - könnt' ich es auch!
Nun willst du wissen, was ich sah
In Freiheit? Prächt'ge Felder, ja,
Und Hügel, die vom Blättermeer
Ganz überwuchert ringsumher,
Sie raschelten in frischer Weis',
Wie Brüder in des Tanzes Kreis.
Auch sah ich viel vom dunklem Stein,
Getrennt nur durch den Strom allein.
Und was sie dachten, fiel mir ein,
Von einer höh'ren Macht erweckt!
Seit langem in die Luft gestreckt,
Umarmungen, doch nur aus Stein,
Ersehnten hier ein Stelldichein;
Doch Tage schwanden wie das Jahr -
Vereinigung ward niemals wahr!
Ich sah der Berge hohen Grat,
Der wie aus einem Traume trat
Und lag im frühen Morgenhauch
Wie ein Altar im heil'gen Rauch,
Der Gipfel dort im Himmelslicht,
Und Wolk' auf Wolke ruhte nicht,
Verließ das Lager, wo sie schlief,
In Richtung Osten sie dann lief -
Wie eine Karawan' in Weiß,
Zugvögel auf der langen Reis'!
Und fern im Nebel hob sich leis',
Grauhaarig, und im Schnee entbrannt,
Der Kaukasus als Diamant;
Das Herz, es wurde leicht und licht,
Warum, das weiß ich selber nicht.
Geheime Ahnung wurde frei,
Dass dies wohl meine Heimat sei,
Erinnerung, so wunderbar,
Vergangenes wurd' klar, so klar...
An Vaters Haus ich dachte jetzt,
An uns're Schlucht, ringsum gesetzt
Die Aulen, die im Schatten steh'n;
Des Abends konnte man versteh'n
Der Pferde Hufklang vor dem Haus
Und Hundebellen von weit drauß'.
Und Altgegerbte fiel'n mir ein,
Im abendlichen Mondenschein,
Auf der Veranda von Papa,
Saßen mit wicht'ger Miene da;
Und im gezückten Messer Schein,
Der lange Dolch - wird's Traum wohl sein?
Die Bilder, so verschwommen mir
Vor meinen Augen standen hier.
Mein Vater selbst? Als ob er lebt,
Sich in der Uniform erhebt,
Erinnerung fällt mir nicht schwer,
Es glänzt' die Rüstung, das Gewehr,
Sein stolzer Blick, so unbeugsam,
Und meine Schwestern, tugendsam,
Ein süßer Blick aus Augen sprang,
Der Klang der Worte, ihr Gesang,
Der über meiner Wiege schwang...
Und in der Schlucht, da floss ein Bach.
Er rauschte laut, doch war er flach;
Zum ihm lief ich des Mittags hin,
Das Spiel mit gold'nem Sand im Sinn,
Dann zu den Schwalben schaut' ich hin,
Wie sie vom Regen schon durchweicht,
Mit Flügeln Wellen streiften leicht.
Und als das friedlich' Heim erreicht,
Des Abends vor dem Herd, vielleicht,
Der alten Zeit, die uns'rer gleicht,
Geschichten gab ich lang' mich hin,
Als uns're Welt noch prächtig schien.
Und du willst wissen, was ich trieb
In Freiheit? Leben - und so blieb'
Mein Leben ohne diese Zeit
Nur eine dunkle Traurigkeit
Von deinem alten, schwachen Leid.
Schon lang' hab' ich mir vorgestellt,
Zu schauen auf das weite Feld,
Zu seh'n, wie schön ist diese Welt,
Ob ich gefangen oder frei
Für diese Welt geboren sei.
Und in der Schreckensstund' der Nacht,
Als Donnergroll'n euch Angst gemacht,
Als ihr versammelt vorm Altar,
Am Boden lag die ganze Schar,
Entlief ich. Oh, so könnte ich
Den Sturm umarmen, brüderlich!
Mein Blick hoch an den Wolken hing,
Mit bloßer Hand den Blitz ich fing...
So sag' mir, wie in diesem Stein
Ihr könntet geben mir so ein
Lebendig kurzes Freundesband,
Wie's zwischen Herz und Sturm bestand?...
Lang lief ich - wohin weiß ich nicht,
Denn nicht ein helles Sternenlicht
Beleuchtete den schweren Pfad.
Ich holte Luft, wie gut es tat
In meiner Brust, gequält und matt.
So nächtlich frisch der tiefe Wald,
Sonst nichts! Schon Stunden lief ich bald,
Als keine Kraft ich mehr besaß,
Da legt' ich mich ins hohe Gras.
Ich lauschte, doch man jagt' mich nicht.
Der Donner schlug, und blasses Licht
Zog sich in langem Streifen von
Der Erd' zum Himmels dunkeln Ton,
Dass ich die Muster sah sodann
In ihm, von fern der Berge Zahn;
So lag ich still in tiefer Ruh',
In einer Schlucht schrie'n ab und zu
Schakale, wie ein weinend' Kind,
Und glitzernd schuppte sich geschwind
Die Schlange an dem Stein entlang;
Doch wurde mir dabei nicht bang:
Den Menschen fremd, ein Tier schon lang,
Kroch ich, verkroch mich wie die Schlang'.
Tief unter mir, das floss ein Bach,
Vom Sturm geschwoll'n mit dumpfem Krach,
Wie zorn'ge Stimmen hundertfach,
Die wortlos dort verbanden sich.
Auch ohne Worte konnte ich
Die Unterhaltung gut versteh'n,
Sah murmelnd ihn im Streite steh'n
Mit hartnäckigem Felsgestein,
Mal schwächer und mal stärker sein,
Bis in der Stille er verklang;
Und dann begann der Vogelsang
Dort in der nebeligen Höh',
Der Osten golden, und die Bö',
Sie raschelte durchs feuchte Blatt,
Weckte die Blüten, traumesmatt,
Genau wie sie grüßt' ich den Tag,
Ich hob den Kopf, doch ich erschrak,
Verhehl' es nicht; Am Rand ich lag,
Als ich mich umsah, ohne Frag';
Ein Abgrund drohte unter mir,
Wo heulte wilder Wellen Gier;
Es führten fels'ge Stufen hier,
Wo einst der dunkle Kavalier
Gefallen von des Himmels Tor
Und sich im Abgrund dort verlor.
Und Gottes Garten um mich stand;
Blumen im schillernden Gewand,
Der Himmelstränen letzter Rest,
Und Weinlaublocken, die sich fest
Am Baum hochwanden, rötlich-satt,
Durch grünes, zartgetöntes Blatt;
Sie hingen dort an Trauben reich,
Kostbaren Ohrringen fast gleich,
So prachtvoll, dass sich dort versteckt
Ein Vogelschwarm, der aufgeschreckt.
Zu Boden ich gesunken bin
Und lauschte wieder sorgsam hin,
Ein zauberhaftes Stimm'geräusch,
Wie leises Flüstern im Gesträuch,
Von Erd' und Himmel sangen sie,
Geheimnisse, voll von Magie;
Und jedweder Naturgesang
Verschmolz hier, wie es niemals klang
Beim feierlichen Lobgebet,
Das nur aus stolzem Wort besteht.
Und was mich dort auch aufgewühlt,
Gedanken sind wie fortgespült;
Erzählend geb' dem Wunsch mich hin,
Dass neu ihr lebt, sei's nur im Sinn.
An jenem Morgen rein und pur,
Der Engelsflug durch Himmelsflur,
Man konnte seh'n, wie er verlief;
Er war so durchscheinend und tief,
Dass er im Himmelsblau versank,
In dem mein Aug' und Herz ertrank!
Bis Mittagsglut herniedersank
Und alle Träume lösten sich,
Denn Durst fing an zu quälen mich.
Aus großer Höh' zum Strom sodann,
An Sträuchern zog ich mich voran,
Und wie ich's konnt', von Stein zu Stein,
Ich abwärts stieg. Doch unterm Bein
Trat sich ein Stein zuweilen los
Und rollte fort, die Erde bloß
Entließ den Staub in Säulenrauch;
So polternd tönend, hüpfend auch,
Er in der Welle dann verschwand;
Und ich hing dort an jener Wand,
Doch stark ist Jugend, wenn sie frei,
Der Tod dann nicht mehr schrecklich sei!
Aus dieser Höhe stieg ich schnell
Herab zum frischen Bergesquell.
Und freudig gab er mir den Wink,
Dass ich in seine Flut einsink'.
Da plötzlich - Stimm' und Schritte Ton,
Schnell lief ich ins Gebüsch davon,
Ich zitterte, doch wollt' ich's nicht,
Hob schließlich ängstlich mein Gesicht
Und neugierig, so lauschte ich:
Es näherte die Stimme sich,
Jung und georgisch klang sie mir,
Lebendig, ohne falsche Zier,
So süß und frei, dass es mir schien,
Als flögen Worte zu mir hin
Mit liebevollem, gutem Sinn.
Es war ein einfach' Liedchen nur,
Doch ließ es bei mir tiefe Spur,
Wenn Dunkelheit mich je umschlingt,
Ein unsichtbarer Geist es singt.
Sie führte einen Krug ins Tal
Auf ihrem Kopf, der Pfad war schmal,
Sie lief zum Ufer und manchmal
Rutschte sie aus auf feuchtem Schlick
Und lachte übers Missgeschick.
Wie ärmlich war ihr Kleidungsstück;
Doch sie schritt leicht, und dann zurück,
Den langen Schleier hob sie an,
Er fiel. Die Sommerglut sodann
Hat gold'nen Schatten schnell erstreckt',
Der ihr Gesicht und Brust bedeckt
Und heiß auf Mund und Wangen schlief.
Die dunklen Augen war'n so tief,
Geheimnisvoller Liebe Bild,
Dass es den Sinn mir, heiß und wild,
Verwirrte. Noch hör' ich genau
Des Kruges Ton, als feuchtes Blau
Ganz langsam rauschend floss hinein,
Ein Plätschern - mehr fällt mir nicht ein.
Und als ich wieder zu mir kam,
Das Blut mir's aus dem Herzen nahm,
Sie hatte sich schon aufgemacht,
Und ging ganz leise, ging ganz sacht,
Mit ihrer Last, schlank und geschwind,
Wie Pappeln Zar'n der Felder sind!
Nicht weit, im Nebel sich befand,
Wie festgewachsen an der Wand,
Ein Hüttenpärchen kleiner Bau;
Und über einem Flachdach, schau,
Das kringelte sich Rauch, zartblau.
Ich seh's, als ob es heute wär',
Ganz leise ging sie auf, die Tür...
Nur um dann wieder zu zu geh'n!...
Ich weiß, du kannst sie nicht versteh'n,
Die Trauer, sehnsuchtsvoll im Herz;
Wenn ich nur könnt', ich wünscht' voll Schmerz,
Dass jenes Bild, so wundervoll,
In mir, mit mir doch sterben soll.
Vom nächtlich' Tun war ich sehr matt
Und schlief im Schatten, was guttat,
Die Lider fielen zu, ganz schwer...
Und wieder kam im Traum sie her,
So seltsam sehnsuchtsvoll und schön,
Georgisch, jung, konnt' ich sie seh'n,
Und wieder krampfte mir mein Herz,
Und wieder seufzte ich vor Schmerz -
Ich wachte auch. Der Mondenschein,
Er glänzte oben, und allein
Ein Wölkchen folgte ihm dort nach
Und wollt', dass seine Beute, ach,
In seine gier'gen Arme fiel.
Die Welt war dunkel und ganz still;
Nur Silberfransen war'n zu seh'n,
Von schneebedeckten Bergeshöh'n,
Die hoch in weiter Ferne steh'n,
Ja, und das Glitzern vom Bächlein.
Der trauten Hütte Feuerschein
Flackerte auf, bis er verging:
Wie heller Stern am Himmel hing
Um Mitternacht, und nun verblasst!
Und hätte ich nur Mut gefasst,
Ging ich hinein. Doch war's mein Sehn' -
Ins heimatliche Land zu geh'n -
Mein Herzenswunsch, dass er bezwing'
Den Hungerschmerz, so gut es ging.
So lief auf geradem Weg ich bald
Als stille, zaghafte Gestalt,
Nur um in jenem dichten Wald
Nicht mehr zu seh'n der Berge Kapp',
So kam ich schnell vom Wege ab.
Vergeblich wütend, dann und wann,
Fing meine Hand verzweifelt an,
Schlehe und Efeu auszuzieh'n:
Um mich war nur noch Wald zu seh'n,
Er wurde dichter, Stund' um Stund';
Aus tausend schwarzer Augen Grund
Hat Finsternis nach mir gefasst
Durch jeden Busches Zweig und Ast.
Vom Schwindel wurde ich erfasst;
Ein Baum wurd' mir zum Aussichtsmast;
Doch auch am fernen Himmels Saum,
Sah ich gezackt nur Baum an Baum.
Zur Erde stürzt' ich, schwer wie Blei,
Und schluchzte wie in Raserei,
Nagte an feuchter Erde Schoß,
Und Trän' auf Träne sich ergoss,
Wie brennend heißer Tau auf sie...
Der Menschen Hilfe wollt' ich nie,
So glaub' es nur, fremd war ich hier
Schon immer, wie ein Steppentier;
Und drängt' nur kurz ein Schrei hinaus,
Der mich verriet, ich schwör's frei raus,
Die Zunge riss' ich mir heraus.
Und denkst du an die Kinderzeit:
Zum Weinen war ich nie bereit;
Doch weinte dort, Scham war ich leid.
Wer sollt' es seh'n? In Waldes Mitt' -
Der Mond, der hoch am Himmel glitt!
Sein Lichtstrahl hat sich dort erstreckt,
Wo Moos und Sand sie zugedeckt,
Wo von der Mauer ohne Tür
Umschlossen lag sie so vor mir,
Die Lichtung. Plötzlich wurde ich gewahr -
Im Schatten glomm ein Lichterpaar!
Die Funken sprühten... und sodann
Ein wildes Tier, es sprang heran
Aus dem Gesträuch, das Spiel im Sinn,
Und legte sich dort rücklings hin.
Es war der Wildnis ew'ger Gast -
Ein Leopard, der ohne Hast
Den rohen Knochen munter biss,
Den Schwanz im Spiele kreisen ließ
Und hob den Blick, von Blutgier starr,
Zum vollen Mond, am Himmel klar,
Wie silbern glänzte jedes Haar.
Ich wartete, griff spitzen Ast,
Das Herz, entbrannt, hat wild gerast
Und wollte den Beginn der Schlacht
Und Blut... doch hat des Schicksals Macht
Ein and'ren Weg bestimmt für mich...
Doch eines weiß ich sicherlich,
Ich wäre in der Väter Welt,
Gewesen nicht der letzte Held.
Ich wartete, das Tier, es roch
Den Feind im Schatten, heulte hoch,
Wie Stöhnen klang ein Klageton
Ganz plötzlich... und er scharrte schon
Mit seiner Tatze bös' im Sand,
Erst aufgebäumt, dann wild gespannt,
Bereit zum ersten Sprung er stand,
Der Tod, so schrecklich, drohte hier...
Doch auf der Hut gelang er mir,
Der sich're Schlag in großer Eil'.
Mein treuer Ast war wie ein Beil.
Die breite Stirn ich offen sah...
Er stöhnte, menschlich schon beinah',
Dann fiel er um, kam wieder hoch,
Das Blut quoll aus der Wunde Loch,
Ergoss sich breit mit aller Macht,
Und weiter tobte diese Schlacht!
Auf meine Brust warf er sich hin:
In seine Kehle stach ich ihn
Und zweimal drehte ich dort drin
Den spitzen Ast... Er heulte auf,
Mit letzter Kraft sprang er hinauf,
Wie Schlangen, die verwickelt sich
In der Umarmung inniglich,
So fielen wir, in Dunkelheit,
Der Kampf ging weiter lange Zeit.
Doch plötzlich stockte mir das Herz;
Gleich diesem Tier, in wildem Schmerz,
So brannte ich, und schrie wie er;
Als ob ich selbst geboren wär'
Bei Wölfen und beim Panthertier
Im frischen, grünen Walde hier.
Der Menschen Worte ich vergaß,
So schien's - Und durch die Brust sich fraß
Sich selbst gebärend wilder Schrei,
Als ob dies meine Sprache sei,
Von jeder and'ren gänzlich frei...
Des Feindes Kraft schwand mehr und mehr,
Er wälzte sich und keuchte schwer,
Er presste mich ein letztes Mal...
Der Blick aus Augen, hart wie Stahl,
Ein letztes Mal glomm funkelnd auf,
Schloss leis' für immer sich darauf;
Den Sieger in des Kampfs Verlauf,
Sah sterbend Aug' in Aug' er an,
Wie in der Schlacht der Rittersmann.
Auf meiner Brust kannst du sie seh'n,
Die Kratzer, und wie tief sie geh'n;
Noch nicht verheilt, geschlossen nicht,
So dass mit feuchter Erdenschicht
Zu kühlen hab' ich mich beeilt,
Der Tod sie erst für immer heilt.
Vergessen habe ich sie dann,
Die letzten Kräfte spannt' ich an,
Hab' in den Wald mich aufgemacht...
War übers Schicksal aufgebracht:
Doch hat es mich nur ausgelacht!
Den Wald verließ ich, und der Glanz
Des neuen Tages ließ den Tanz
Der Sterne schwinden, ach, so bald
Im hellen Licht. Der Nebelwald
Erwachte nun. Und fern stieg schon
Vom Aul der Rauch. Ein vager Ton,
Durchs Tal trug ihn des Windes Hauch...
Ich setzte mich und lauschte auch;
Doch mit der Brise er verklang.
So blickte ich das Tal entlang:
Erinnerung in mir hochschwang.
Und schrecklich war es zu versteh'n,
Dass schließlich ich musst' wiederseh'n
Hier nun den Kerker, den ich floh;
Dass nutzlos all die Zeit, die froh
Ich in die schönsten Träume glitt,
Ich quälte mich, hielt durch und litt,
Wozu nur?... Dass ich jetzt als Mann
Die heil'ge' Welt kaum sehen kann,
Fast hätt' ich bei der Eichen Ton
Der Freiheit Glück zum Greifen schon,
Ich trag' zum Grab mit eig'ner Hand
Die Sehnsucht nach dem Heimatland,
Der Vorwurf mir die Hoffnung bricht
Und schändlich' Mitleid will ich nicht!...
Doch Zweifel hielt mich noch im Zaum,
Ich dachte - nur ein böser Traum...
Doch ferner Glockenklang, der kaum
Bis hierher durch die Stille drang
Und mich zur bitt'ren Klarheit zwang...
Oh, ich erkannte ihn sofort,
Oft jagte er die Bilder fort,
Die Kinderaugen vor sich sah'n
Von den Verwandten, lieben Ahn',
Und von der Steppe, wild und frei,
Mit schnellen Pferden auch dabei,
Und von der Schlucht im Felsen tief,
Wo ich so gern alleine lief!...
Ich lauschte tränenlos und schwach.
Es schien, er hallte leise nach,
Im Herzen - wie ein Eisenstock,
Der in die Brust drang wie ein Pflock.
Und dunkel wurde mir es klar,
Die Spur zu meiner Heimat war
Verloren jetzt und immerdar.
Mein Los ich wohl verdienen werd'!
Der fremden Steppe starkes Pferd
Wirft ab den schlechten Reitersmann,
Wenn auch weit weg, nach Hause kann
Es finden gerade, kurze Spur...
Was bin ich da? Vergeblich nur
Quäl'n Wünsche mich und Trauer sehr:
Welch Hitze, ohne Kraft und leer,
Der Kopf ist krank, ein Traumesspiel.
Des Kerkers Stempel auf mich fiel
Und blieb... Doch jenes Blümelein
Wuchs eingeschlossen auf allein,
Erbleichte zwischen Platten, klamm,
Und lange junges Blatt nicht kam
Zum Licht, das es so sehr vermisst',
Da lebensspendend. Und so ist
Viel Zeit vergangen, bis die Hand
Dies traurig' Blümchen gütig fand.
Zum Garten wurde es gebracht,
Dass ringsum es die Rosenpracht,
Des Lebens süßen Hauch genoss...
Und dann? Der Morgen übergoss
Es mit dem brennend heißen Strahl,
Dies Kerkerblümchen voller Qual...
Und wie es mich verbrannte bloß,
Des Tages Feuer, gnadenlos.
Ins Gras tauchte umsonst ich ein
Mein armes, müdes Köpfelein:
Die Krone aus verdorrtem Laub
Und auf der Stirn die Dornenhaub'
Im heißen Fleisch wie eine Schraub',
Der Erde Hauch, sie kühlte mich.
Nach oben schnell mein Blick hob sich,
Ein Funkensturm von Felsen, weiß,
Als Dampf. Die Welt schlief still und leis'
In drückender Benommenheit
Zu schwerem Schlaf nur zu bereit.
Wenn nur das Sumpfhuhn einmal schrie,
Oder Zikaden, zirpten sie
Lebendig, oder Bächleins Gang
Kindlich murmelnd... Und die Schlang'
Auf dürrem Kraut raschelte lang.
Ihr gelber Leib leuchtete hold,
Als wäre er graviert mit Gold,
Das eine Klinge ganz bedeckt.
Und so in losen Sand gestreckt,
Kroch sie bedächtig, aber bald
Hat spielend-aalende Gestalt
In Dreier-Ringe sich geballt;
Als ob sie plötzlich sei verbrannt,
So wälzte sie sich dort im Sand,
Bis im Gebüsch sie dann verschwand...
Und was im Himmel sich befand,
War hell und still. Von fern im Rauch
Zwei Berggipfel, schwarzglänzend auch.
Dahinter dann das Kloster stand
Mit seiner weißgezackten Wand.
Und unten strömten silbrig sie,
Kurá und auch der Arágwi,
Vorbei an grüner Inseln Saum,
Vorbei am raschelnd' Busch und Baum
Flossen sie fröhlich, leicht und klar...
Wie weit ich von dort weg nur war!
Ich wollte aufsteh'n - aber da
Ein schnelles Kreisen ich nur sah;
Ich wollte schrei'n - doch trocken ja
Der Mund, und ohne jeden Ton.
Ich lag im Sterben und sah schon
Den Todeswahn. So schien es mir,
Als läg' auf feuchtem Grund ich hier
Des tiefen Flusses - dazu noch
Stieg wundersamer Nebel hoch.
Auf dass der ew'ge Durst gestillt
Vom Wasserstrom, wie Eis gekühlt,
Der gurgelnd durch die Kehle floss...
Und ich hatt' Angst zu schlafen bloß -
So süß und teuer war's für mich...
Doch über mir, da spürte ich,
Wie Welle schob auf Welle sich.
Die Sonne durch das Flusskristall
Schien süßer als des Mondes Strahl...
Und auch der Fische bunte Schar
Im Licht spielend zu sehen war.
Noch gut ich kann erinnern mich:
Besonders einer war freundlich,
Liebkoste mich. Der Rücken war
Mit gold'nen Schuppen, wunderbar,
Bedeckt. Er wand sich wie ein Aal
Mir überm Kopf nicht nur einmal,
Die Augen war'n von grüner Art
Und blickten traurig, tief und zart...
Doch wundern konnte ich mich kaum:
Ein Stimmchen, zart wie Silberschaum,
So seltsam flüsterte mir zu,
Es sang, und gab dann wieder Ruh'.
Es sagte zu mir: "Liebes Kind,
So bleibe denn bei mir:
Im Wasser freies Leben find,
Und kühlen Frieden hier.
Die Schwestern rufen werde ich:
Im Tanze alles kreist,
Dein düst'rer Blick erhelle sich
Und auch dein müder Geist.
So schlafe denn, dein Bett ist weich,
Die Decke transparent.
Jahrhunderte verfliegen gleich
Im Zaubertraum ohn' End'.
Mein Liebster! Ich verberge nicht,
Dass ich dich lieb' allein,
So wie das Wasser, das erfrischt,
So wie das Leben mein..."
Und lange, lange lauschte ich;
Es klang das Wasser wahrnehmlich
Und goss sein leises Murmeln frisch
Zu dem, was sprach der gold'ne Fisch.
Und dann vergaß ich. Gottes Licht
Im Auge starb. Die wirre Sicht
Starb kraftlos in dem Körper, schwer...
Dann fand man mich und trug mich her,
Den Rest kennst du, ich fahr nicht fort.
Das war's. So glaube meinem Wort,
Wenn nicht, ist mir das auch egal.
Nur eines sorgt für große Qual:
Wenn stumm und kalt verwest mein Leib,
Dass nicht zuhause sein Verbleib.
Und die Geschichte meiner Pein
Bleibt ungehört in taubem Stein,
Und niemand hat zur Andacht Zeit,
So fall' ich in Vergessenheit.
So leb denn wohl... gib mir die Hand:
Und fühlst du meine, wie verbrannt...
Das Feuer glomm seit Jugendzeit,
Und machte sich im Herz mir breit;
Doch dort wo keine Nahrung ist,
Die Kerkermauern es nun frisst,
Zurückzukehren es beschließt,
Zu dem, der nach dem ew'gen Plan
Ließ Leiden oder Ruhe nah'n...
Und ich? - So mag im Himmel gleich,
Im heiligen umwölkten Reich,
Mein Herz nun finden ein Asyl...
Oh weh! Wie sehr es mir gefiel
Im dunklen, steilen Felsgestein,
Wo ich ein spielend' Kind konnt' sein -
Den ew'gen Himmel tauscht' ich ein...
Wenn dann der Tod klopft an das Tor,
Und glaub mir, er steht kurz bevor,
Sollst du dich mit mir hin bemüh'n,
In uns'ren Garten, dort wo blüh'n
Im schönsten Weiß Akazien...
Und dichtes Gras wächst mittendrin,
Ein frischer Duft liegt überm Hain,
Im durchsichtigen gold'nen Schein
Der Sonne tanzt ein Blättelein!
Und dorthin man mich legen mag.
Dass von dem himmelblauen Tag
Ein letztes Mal ich mich erlab.
Den Kaukasus im Blick ich hab'!
Dass er aus seiner Höh' sogar
Ein Abschiedsgruß mir bringe dar,
Ein Abschiedsgruß auf kühlem Wind...
Und vor dem End' mir nahe sind
Die Klänge aus der Heimat, fern!
Ein Freund, das werd' ich glauben gern,
Ein Bruder, beugt sich hin zu mir,
Und aufmerksame Hand wischt hier
Vom Antlitz kalten Todesschweiß.
Mit sachter Stimmer singt er leis'
Von einem Land, so wundervoll...
In dem ich nunmehr schlafen soll,
Im Herzen ohne jeden Groll!..."
Eine Liebeserklärung an die Freiheit und...
...an den Kaukasus!
Michail Jurjewitsch Lermontow wurde am 15. Oktober 1814 in Moskau geboren. Mit 2 Jahren verlor er seine unglücklich verheiratete Mutter und wuchs bei seiner Großmutter auf einem Landgut auf. Dort lernte er das Elend der leibeigenen Bauern kennen.
Er studierte von 1828 – 1832 in Moskau, begann dort auch schon Gedichte zu schreiben, wurde aber wegen Unstimmigkeiten mit den Professoren aus der Universität ausgeschlossen. Bis 1834 besuchte er dann eine Kavallerieschule in Sankt Petersburg.
Nachdem er 1837 das sehr populäre Gedicht "Der Tod des Dichters" zu Ehren Puschkins verfasst hatte, der bei einem verbotenen Duell ums Leben gekommen war, wurde er nach Georgien verbannt. Dort bekam Lermontow nach einem Gespräch mit einem alten Mönch, der wohl von General Jermolov (Gründer von Grosny) als Kind entführt worden war, die endgültige Idee zu seinem "Mzyri" (Novize).
1838 durfte er nach Sankt Petersburg zurückkehren, wurde aber nach einem Duell mit Ernest de Barante wieder in den umkämpften Kaukasus (Tschetschenien) verbannt. Dort starb er am 27. Juli 1841 nach einem Duell mit Nikolai Martynow.
Sein Werk "Mzyri" wurde am 5. August 1839 fertiggestellt und 1840 veröffentlicht. Im ersten Entwurf lautete der Titel noch "Beri" (ბერი), also Mönch, wurde dann aber in "Mzyri" geändert, was wohl im Georgischen neben "Novize" auch "Außenseiter, einsamer Mensch ohne Verwandte und Freunde" bedeutet. Außerdem war der Ritus der Tonsur bei der Hauptperson noch nicht vollzogen worden.
Schon in zwei früheren Gedichten wurde auf das Thema eines jungen spanischen Einsiedler in einem klösterlichen Gefängnis Bezug genommen. Das Motiv des Kampfes mit dem Leoparden entstammt übrigens alten kaukasischen Legenden. Bei dem Kloster handelt es ich um das Dschwari-Kloster in der Nähe des Zusammenflusses von Kurá und Arágwi.
Persönlich interessant fand ich die klassische Konstellation Opfer-Täter-Retter (hier: Junge – General – Mönch) sowie das Mädchen und der Leopard als Symbole für die höheren und niederen seelischen Impulse.
Lermontow:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Jurjewitsch_Lermontow
Der Novize (englisch):
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Novice_(poem)
Dschwari-Kloster:
https://en.wikipedia.org/wiki/Jvari_Monastery
https://de.wikipedia.org/wiki/Dschwari_%28Kloster%29
General Jermolow:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexei_Petrowitsch_Jermolow